Ausstellung „Anselm“, Künstlerbund und Feuerbachhaus, Auszug aus der Laudatio am 10.06.2022
Die Ausstellung mit dem Titel „Anselm“ ist eine Konstellation. So dass wir auf zwei Phänomene stoßen: Die Einzigartigkeit des Auslösers Anselm Feuerbach wird überschnitten mit der Einzigartigkeit der einzelnen Künstler, die mit ihren individuellen Ansichten und Ausdrucksweisen mit dem Urheber einen interessanten Dialog eingegangen sind, sozusagen eine Unterhaltung über den Gartenzaun des kunstgeschichtlichen 19. und 21. Jahrhunderts hinweg, ein Wandern zwischen kulturellen Epochen, Kunststilen und Ereignissen und veränderten Sehgewohnheiten.
Anselm Feuerbach war Zeit seines Lebens ein Vielgereister. Ein Odysseus. Einerseits ein ruhelos Reisender und doch in seiner künstlerischen Aussage in romantischer Verklärung und Begeisterung für die Antike Verhafteter. Auf der Suche nach Ruhm, Ehre und Anerkennung. Was die 14 Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Feuerbach beschäftigt haben, eint, ist der Respekt vor seiner künstlerischen Leistung. Auf der Suche nach künstlerischem Erfolg ist Feuerbach aus Speyer weggezogen nach dem Motto: „In der Ferne gilt der Künstler mehr als zu Hause“.
Das Zitieren berühmter künstlerischer Vorgänger im Finden neuer Lösungswege haben Anselm Feuerbach oder Edouard Manet, Pablo Picasso oder Andy Warhol praktiziert, wie auch den Speyerer Künstlern das Zitieren von kunstgeschichtlichen Ereignissen ein selbstverständliches künstlerisches Handgepäck und Repertoire ist. Dabei begeben sie sich auf eine Reise, wie Odysseus, zu fernen unbekannten Gestaden, offen für neue Erfahrungswerte künstlerischer Gestaltung:
Zur Tischkultur gehört in unserem Kulturkreis die Gabel. Mit dem Titel „Anselm cornu bleu“ spießt Christoph Anschütz die Traditionskunst eines Anselm Feuerbach im wahrsten Sinne des Wortes auf und wünscht dem Besucher „guten Appetit“. Wer hätte gedacht, dass Hildegard von Bingen im Gebrauch der Gabel eine „Verhöhnung Gottes“ sah und anordnete, um die Engel nicht aufzuspießen, dass die Zinken nach unten zu halten seien? Wesensfremde Elemente zueinander in Beziehung zu setzen und daraus neuen Sinn zu schaffen, wie hier bei Christoph Anschütz‘ Werk, war eine der Ideen des Surrealismus und hat die Objektkunst -anstößig, gottlos bis nachdenklich- immer neu beflügelt.
Die Arbeiten von Luisa Schmeisser sind in einer Mischtechnik aus Zeichnung, Collage und Papierschnitt, teils detailliert, teils linear oder flächig in zurückhaltender Farbigkeit gehalten. Sie beschäftigt sich mit der schicksalhaften Beziehung zwischen Anselm Feuerbach und Anna Risi, genannt Nanna, die ihm Muse und Geliebte war, und für ihn das Ideal von klassischer Schönheit verkörperte. Der Blitz der Hoffnung, der fulminant einschlägt und sich dann wieder verflüchtigt, als Nanna den Maler 1865 verließ, steht hier im Fokus. Dazu Zitat Anselm Feuerbach: „Jeder Mensch schafft sich sein eigenes Paradies, und bestände es nur aus einem Blitz der Hoffnung.“
In ihrem Werk „Bildnis von Eva G. mit Sittich“ übernimmt Margarete Stern die traditionelle Malweise, wobei die Haltung Evas an die „Poesie“ Feuerbachs erinnert. Der Lorbeerkranz als zusätzliches Accessoire verdeutlicht die Nähe zum Meister. Ganz im Stil des figurativ-magischen Realismus. wobei das Porträt der bekannten Schauspielerin Eva Green in die Jetzt-Zeit übertragen wurde, ist die Doppeldeutigkeit das Befremdliche: Der Sittich, der mit dem Blatt im Schnabel den Souffleur zu spielen scheint, wird zum magischen Weggefährten, zum überzeitlichen Symbol der Treue, bzw. zum Begleiter des Menschen.
Die Frauenporträts von Karin Germeyer-Kihm, „Am Fenster“ und „o.T.“ übernehmen das überragende Motiv im Werk von Anselm Feuerbach, die Darstellung von Frauen: Anna Risi und Lucia Brunacci. Bei den beiden Frauenporträts von Germeyer-Kihm erinnert die Pose, angelehnt an antike Statuen, sowie der koloristische Farbkanon, wie auch die sehnsuchtsvolle, nachdenkliche Haltung an Feuerbachs Werk, wobei hingegen die malerische Umsetzung völlig frei in der ihr eigenen, expressiven Farbigkeit erfolgte, gesetzt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.
Günter Zink kommt zu ganz pragmatischen Ergebnissen, in denen „Feuerbach reloaded“- neu geladen wird. Zink geht davon aus, dass Feuerbach kein moderner Künstler sei, sondern ein eher rückwärtsgewandter. Man bedenke in diesem Zusammenhang Feuerbachs Antikenbegeisterung, während fast zeitgleich die Impressionisten die Kunstwelt revolutionierten: 1871 hat Claude Monet sein Werk „Impression soleil levant“ geschaffen, was einen ungeheuren Skandal hervorrief. Davon ausgehend „modernisiert“ und beamt Zink mit den Selbstporträts Feuerbachs diesen in einen ungegenständlichen, von der Farbe her gedachten expressiven Malgestus und Farbraum.
Joachim Pfaffmann hat eine Serie aus drei Fotografien erstellt, in Anlehnung an Feuerbachs „Mandolinenspielerin“. Es entstand eine europäische, eine asiatische und eine afrikanische Version. Durch die elektrische Mandoline und den Gitarrenverstärker sowie das Smartphone wird das Bild in die Neuzeit gehoben. Das Gemälde auf dem Smartphone ist eine augenzwinkernde Reminiszenz an das Original. Die drei Ethnien sind ein Gegenentwurf zu Feuerbachs „Klassizität“ und werden im Hinblick auf die Vielfalt der Möglichkeiten – nicht nur im Hinblick auf eine sog. klassische Ausdrucksmöglichkeit – gesehen. Hier wird unterschwellig Feuerbach kritisiert, dass eine einseitige romantische Einstellung zur Antike in heutigem Sinne nicht mehr zeitgemäß ist.
Die lässige Pose Anselm Feuerbachs im Werk Nina Bußjägers ist nur vorgegaukelt. Die inneren Dämonen, sein ständiges Ringen und Kämpfen nach bestmöglicher Vollendung seiner Werke umgeben den Künstler. Zitat Feuerbach: “Mein Geist ist rastlos tätig, und wenn ich die hinterste Wand wegschiebe, so funkelt etwas durch die Spalten wie viel Licht“ (Zitatende). Die Achterbahnfahrt, das Auf und Nieder zwischen Euphorie und Depression, kennzeichnet die expressive, überspitzte Farbigkeit, den collagehaften Bildaufbau. Die Verfremdungen und kippenden Perspektiven stehen im Kontrast zu Feuerbachs strenger Komposition: Hier gibt Nina Bußjäger den Künstler als den Menschen wieder, der er in sich selbst und in seinem Umfeld war, der Getriebene, der Nicht-Integrierte, ausgesetzt den Einflüssen seiner Zeit und schafft dadurch gleichzeitig das Bild des Künstlers an sich, über die Zeiten hinweg. Wohlwissend und in ihr Werk einbeziehend, in welch rasantem Wechsel kunstgeschichtliche Stilrichtungen seit Anselm Feuerbach die Kunst-Welt überfluteten, wie ein Feuer-Bach nämlich, einem rasenden Strom aus Feuer und Wasser gleich, der sich gurgelnd und spuckend durch unser Wahr-Nehmen frisst.
In Stefan Beckers Arbeit „Anselmo.Lido.22“ findet das Unstete seinen Ausdruck, das Reisen und Suchen, das Zerrissensein und Hadern. Der Kunstkritiker Louis Vauxelles rief 1905 angesichts der ersten Ausstellung einiger junger wilder Künstler aus: „Donatello au milieu des fauves“. Er meinte damit, der göttliche Renaissancebildhauer Donatello, stellvertretend für die taditionell „Schönen Künste“, befände sich mitten unter Werken, die von wilden Tieren geschaffen wären. Bei Stefan Beckers, fast monochromer Arbeit, würde ich gerne ausrufen: Le maìtre au milieu des fauves – das Porträt des Meisters inmitten von wilden Tieren. Hier scheint Feuerbachs wunderbar verklärte Begeisterung für die Antike auf den Kopf gestellt: Porträts, Anspielungen und Bezüge prägen die, fast aus den Fugen geratenen, zeichnerischen Exkurse. Der Sucht nach Ruhm und Ehre ist der Totentanz beigefügt, und gibt, wie bei Margarete Sterns Arbeit „Auch das Schöne muss sterben“ den Zerfall wieder, die Einsicht, dass die romantische Verklärung der Antike letztlich mit dem Tod endet. Mit dem Titel der Arbeit „Anselmo.Lido.22“ gibt Stefan Becker wohl einen Hinweis auf Feuerbachs Tod in Venedig.
Thomas Manelli Mann stilisiert in seinem „Feuerbach Porträt“ das Bildnis des Altmeisters zur Pop-Ikone. Was Andy Warhol, der Meister der Pop-Art praktizierte, wird von Mann über die Gestaltung am PC weitergeführt: Die Reproduktion des reproduzierten Originals erfährt einen zeitgemäßen „Neuanstrich“.
In den weiteren Feuerbach-Porträts setzt sich Thomas Manelli Mann mit der Persönlichkeit des Meisters auseinander: Lebensstationen, Charaktereigenschaften, überlieferte Gedanken und Zitate werden in symbolhafter Form dargestellt, wobei die am Computer entstandenen Arbeiten, – stilistisch vergleichbar mit Victor Brauner oder Friedrich Schröder-Sonnenstern-, sich doch vehement durch eine völlig eigenständige Handschrift und Bildsprache von den bekannten Surrealisten absetzen. Mit seinen witzig-skurrilen Anspielungen und surrealen Einfällen geht es Thomas Manelli Mann darum, bei dem Betrachter seiner Werke Emotionen zu erzeugen und die individuelle Phantasie hervorzulocken.
Augenzwinkernd lässt er „Amsel Feuerbach ein Selfie machen“: Das Bild eines Abbildes von einem Abbild wird zum „neuen“ Bild.
Bei Fred Feuerstein wird Nanna in der Pose der Iphigenie in Buntstift-Zeichnungen festgehalten. Die Arbeiten sind in überspitzter Farbintensität und Farbkontrasten angelegt, durchaus als Gegenentwurf zu verstehen zu Feuerbachs Malerei, die Kritiker der damaligen Zeit wegen ihrer „grauen“ Zwischentöne ablehnten.
Das eigentliche Objekt hinterfragend, geht Markus Münzer bei seiner künstlerischen Recherche in seinen „Streifenbildern 1 und 2- (Kubus0)“ vor, wobei ihm eher die Fragestellung wichtig erscheint. Reale Lichtreflektionen und Originalgemälde gehen über das Kameraauge mit dem Ausstellungsort Mannheim eine Symbiose ein. Die Frage nach der Wahrnehmung des Betrachters, dem Präsentationsort, den zufällig vorhandenen Lichtspiegelungen und das was diese Symbiose über das menschliche Auge im Bewusstsein hervorruft, stellt sich. Nicht nur das reproduzierte Gemälde wird Teil der Bildaussage, sondern die Reproduktion selbst wird neu gedacht. Kunsthistorisch gesehen, könnte man Andy Warhol als einen der Väter der reproduzierten Reproduktion von Kunstwerken ansehen.
Parallelen zu unserer Zeit nimmt Martin Eckrich mit seiner Installation „Lavastrom“ auf: Die Zeit in der Anselm Feuerbach lebte, war geprägt von Erfindungen. Die Dampfmaschine und die Massenproduktion von Feuerwaffen veränderten das Weltbild. Reichtum, wirtschaftliche Überlegenheit und Wissenschaft trugen zur Ausbeutung anderer Völker bei. Die Liebe bzw. Vergötterung Anselm Feuerbachs stellt Martin Eckrich als fremdländische Sklavenfrau dar. Zitat Eckrich: „Ihre Tränen weinen das Erdenfeuer, das Lava. Ihr Kleid zeigt eine zerbrochene Erdkruste. Auf ihr sind Reste von Kriegswaffen und zerschlagenen Figuren der Romantik zu finden.“
Der Frage nach unserer Identität und Herkunft gehen BUJA und Nicolas Wenz nach, dazu gehören das Feiern, aber auch das Trauern. Das Aktionsfeld ihrer Arbeit „Anselm II“ ist eine Tischdecke, auf deren Oberfläche Gebrauchsspuren wie Wein, Blut, Tränen oder einfach nur Sauce, Wachs und Asche nachzuspüren sind. Als Grundlage dient das Porträt Anselm Feuerbachs als prominenter Persönlichkeit aus Rheinland-Pfalz. Auch hier geht es um unser kollektives Gedächtnis der Tischkultur, dem Gespräch, dem Miteinander und selbstverständlich der Diskussion um Politik. Stilistisch verknüpft sind hier Objektkunst, „Eat-Art“ und Malerei.
In Reinhard Aders Gemälde „Iphigenie“ ist der Mensch ausgespart. Sein Werk widersetzt sich Feuerbachs Porträtmalerei, zielt auf Spannung und gleichzeitigen Widerspruch: Das Gewand der Iphigenie gerät zu einem Vorhang, hinter dem sich das eigentliche Geschehen abspielt. Der fast nebensächlich am Boden liegende, teils zerpflückte Lorbeerkranz gibt einen gewissen Einblick wieder, was sich hinter dieser Kulisse abspielen könnte, nämlich die Frage nach dem Sinn des Strebens nach Ruhm und was davon übrigbleibt. Das Detail aus Iphigenies Gewand wird zum einzigen und einzigartigen Bildgegenstand, wird regelrecht Protagonist der Geschichte, wie in Stein gewordene Wirklichkeit, gleichsam eine „Gewand-Landschaft“. Was bleibt von Feuerbachs Verklärung der Antike, den Mythen und der Vergötterung der Schönheit der Kunst? Die Ismen der Kunststile seit Feuerbachs Schaffensperiode haben gezeigt, wie vielfältig die Künstler auf Probleme ihrer Zeit geantwortet haben, oftmals verdeckt unter den zu Stein gewordenen Gewändern der Ideale dessen, was wir ‚Kunst‘ nennen.
Das Werk Margarete Sterns zur Anselm-Ausstellung – in extremem Hochformat ausgeführt- trägt den Titel „Auch das Schöne muss sterben“, übrigens ein von Brahms vertontes Gedicht von Friedrich Schiller über dessen Verständnis zum Verlust der Antike. So wie der Titel sind auch die Anspielungen und Doppeldeutigkeiten der Künstlerin zu verstehen: In Anlehnung an Feuerbach und seiner Verehrung für Frauen wird in dieser Komposition die starke Sehnsucht nach Frieden, Harmonie und Schönheit zum Ausdruck gebracht, wobei die melancholisch und unnahbar wirkenden Personen, den Eindruck erwecken, als sei die Zeit stehengeblieben. Doch dann Feuerbach inmitten dieser fiktiven Porträts: Eine wahre Selbstinszenierung des Meisters, die gleichzeitig seine selbstquälerische Abhängigkeit zu Frauen deutlich macht. Motive, die den Frauen beigefügt sind, machen sie zu „handelnden“ Personen: Apfel, Schlange und Vögel als überzeitliche Symbole für Verführung, Sexualität, Glücksbringer oder auch Flatterhaftigkeit sind Hinweise, die eine über die Zeit gehende Interpretation ermöglichen.
Schlussendlich stellt sich die berechtigte Frage: Erzeugen wir Künstler einen Charme von Verfall und Neuanstrich, der den Kunst-Reisenden immer wieder ver- und bezaubert? Sind wir rastlos Rasende, getrieben, wie auf der Reise eines sich quälenden Odysseus, auf den windgepeitschten Ozeanen der Weltmeere unseres Bewusstseins? So dass wir immer wieder lernen müssen, dass wir jedes Mal am Anfang stehen?
Oder anders ausgedrückt: Wer die Geschichte der Entwicklung der Welt ignoriert, ist auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Er wird sich in seiner eigenen Soße erbrechen!
In Abwandlung des Kunstkritikers Vauxelles zur oben erwähnten Fauvisten-Ausstellung rufe ich daher aus: „Le maìtre est au milieu des nous, les fauves“ – Der Meister ist mitten unter uns, den wilden Tieren.
Reinhard Ader, Vorsitzender Künstlerbund Speyer, Juni 2022